Recht auf die Stadt
Da es immer wieder Diskussionen gibt um die Rolle des öffentlichen Raums der Stadt und darum, was passiert, wenn private Investoren diesen Raum besetzen und den Zugang einschränken, poste ich hier einen Auszug aus "Bavarität". Konkret geht es um den Abschnitt "Recht auf Partizipation" aus dem Kapitel "Raum zum Wohnen", in dem es auch um das Recht auf die Stadt geht.
Aktueller Stein des Anstoßes ist der geplante Neubau einer Seniorenresidenz an der Stelle eines Biergartens und Gasthauses auf der Mühleninsel in Landshut. Das Projekt wirft ganz bestimmte Fragen der nachhaltigen Stadtplanung auf, die der folgende Auszug diskursiv verorten soll – ganz abgesehen von dem Umstand, dass Abriss selten die planerisch-gestalterisch ideale und bestenfalls die billigste Lösung darstellt. Bildquelle: M. Kammerbauer; Landshuter Zeitung / Alex Schmid
(...) Es ist nun einmal so, dass sich Themen der nachhaltigen Stadtplanung, der Klimaanpassung und der Minderung von Umweltrisiken zunehmend überschneiden. Ein Indikator dafür ist die Popularität des Begriffs der Resilienz und dessen Bedeutung für Ansätze der Bewältigung von Krisen. (...). Die grundsätzliche Annahme ist, dass resiliente Städte oder Quartiere gegen unerwartete Störungen [und Krisen] gewappnet sind. Sowohl Resilienz als auch Nachhaltigkeit sollen durch angemessene Planungsansätze erzielt werden. (...) Jedoch tragen Maßnahmen, die der Bildung und Stärkung der Resilienz dienen, auch zur nachhaltigen Entwicklung bei. Die Nachhaltigkeitsagenda der UN fordert demnach, Städte und Siedlungsräume so zu gestalten, dass sie nicht nur inklusiv und sicher, sondern insbesondere resilient und nachhaltig sind. Es besteht also eine doppelte Verantwortung, wenn es darum geht, in Städten sowohl Resilienz als auch Nachhaltigkeit „einzubauen“. (...)
Dies ist kein Selbstzweck – sowohl der wünschenswerte Erhalt der Identität einer Stadt als auch die erforderliche Anpassung gebauter Artefakte sind grundlegend. Hierzu können im architektonischen und städtebaulichen Sinn explorative und experimentelle Entwurfsansätze beitragen, die eine Überlagerung von Funktionen ermöglichen. Inkrementelle, interdisziplinäre Planungsverfahren können diese Ansätze unterstützen, um im Kontext der planerischen Unsicherheit die Umwelt zu transformieren, damit auf gesellschaftlicher Ebene Sicherheit gewährleistet werden kann (...). Resilienz braucht jedoch Nachhaltigkeit, um Prozesse und Dynamiken der Veränderung der gebauten Umwelt und der Gesellschaften, die sie bewohnen, inklusiv zu bewältigen. Dies verweist auf die Bedeutung der Rolle der Inklusion, wenn es darum geht, Verwundbarkeit und die ihr zugrunde liegende Ungleichheit zu überwinden. (...) Partizipation und Co-creation können in diesem Sinn dazu dienen, unterschiedliche Interessen und potenzielle Konfliktfelder zu harmonisieren, indem Verantwortung geteilt wird, um gemeinsam innovative Lösungen für relevante Probleme zu finden. Die Orientierung am gebauten Raum ist grundlegend, nicht nur, um Transformationsprozesse in Gang zu setzen, sondern auch sozioökonomisch Ungleichheit zu mindern. Nachhaltigkeit drückt sich demnach in der sozialen Mischung lebenswerter, von spekulativer Bodenpolitik befreiter Stadtquartiere aus, die Raum für Wohnen und Arbeit bieten.
All diese Konzepte, Strategien und Ansätze verweisen immer und immer wieder auf das Wohnen. Man erinnert sich dabei an das „Recht auf die Stadt“, wie es von Henri Lefebvre (1901–1991) formuliert wurde. Im Zentrum seiner Befassung lag die Krise der Stadt in den 1960-ern. Deren Ursachen waren nicht zuletzt überkommene Planungsvorstellungen, mit infrastrukturellen Megaprojekten staatlicher Institutionen als Ergebnis, die an der Lebenswirklichkeit der Stadtbewohner vorbeigingen, sogar zu deren Ausgrenzung führten. Aus dem Widerstand gegen diese Planungsvorstellungen erwuchs eine Krise politischer Legitimität angesichts des mangelnden Zugangs zu den Ressourcen der Stadt. Fehlender Wohnraum stellte hier einen wesentlichen Konfliktpunkt dar. Dem entspringt auch die Forderung nach dem Recht auf die Stadt. Fordern wir also heute das Recht auf Partizipation! Aus Lefebvres Sicht waren es nämlich Organisationen der Zivilgesellschaft, die das Potenzial besaßen, Partnerschaften zwischen Bewohnern, anderen Organisationen und städtischen Institutionen zu bilden, um gemeinsame, kreative, visionäre Lösungen für die Probleme der Stadt zu finden. Hier findet man den urbanistischen Ursprung des aktuellen Potenzials, über partizipative, kollaborative Ansätze den Raum und die Gesellschaft der Stadt, des Quartiers und der Siedlung zu transformieren, damit sie sich zukünftigen Krisen entgegenstellen können. (...)
Quellen:Kammerbauer, M. (2021). Resilience – Time is of the Essence. Topos 116:24–27.
Lefebvre, H. (2007). Writings on Cities. Blackwell.
Rodríguez, H., E. L. Quarantelli, & R. R. Dynes. (2006). Handbook of disaster research. Springer Science + Business Media.
UN. (2022). Sustainable Development Agenda. United Nations.
Das Buch "Bavarität – Krisenbewältigung im baukulturellen Raum" ist bei Springer Spektrum erhältlich.


Comments
Post a Comment