CRITICAL VOID Hörstück in Kooperation mit Z'EV

CRITICAL VOID war eine urbanistische Studie und ein Hörstück, das ich 2013 zusammen mit Stephan Joel Weisser im Auftrag des Kulturreferats der Stadt München entwickelt hatte. Die Aufnahme ist bei Bandcamp erhältlich, der vollständige Bericht der Studie bei Academia. Es folgen der Stream der Audioaufnahme, die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Bericht sowie Teile der Lyrik des Hörstücks. 

Die Zukunft baut auf dem Geschehenen auf. Neue Zeiten brauchen aber auch eine neue Erinnerungskultur. Studien zur Planungsgeschichte im öffentlichen Raum hörbar zu machen bietet eine neue Dimension, um sich der Entstehungsgeschichte urbaner Räume zu nähern. Dies war auch ein Ergebnis des Projekts CRITICAL VOID, unterstützt durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München innerhalb der Reihe „Transforming Design“ im MaximiliansForum im Sommer 2013. Hier wurden innerhalb einer urbanistischen Studie empirisch gewonnene Erkenntnisse zum Ursprung des MaximiliansForums mittels eines „Hörstücks“ dem Publikum vorgetragen. Diese ortsspezifische Performance hat bisher verborgenes oder vergessenes Wissen der Stadtentwicklung des Orts hörbar gemacht. Zum einen behandelt dies die Kritik an den modernistischen Stadtplanungsmaßnahmen der Nachkriegszeit in Deutschland allgemein sowie die spezifische Situation in München und der damaligen Akteure im besonderen.

Der Gewinn besteht darin, die Erinnerungen der Zeitzeugen lebendig zu halten und für das heutige Publikum wahrnehmbar zu machen. Dies steht auch in Zusammenhang mit dem Wechsel zwischen kommunikativer zu kultureller Erinnerung in Bezug auf Ereignisse, die mittlerweile 40 Jahre zurück liegen und auch die Entstehungszeit des Münchner Forums betreffen. Die Motivation hierfür war einerseits die Neugier über die Entstehung des MaximiliansForums als auch eine Begeisterung für dessen schroffe, brüchige Ästhetik. Das MaximiliansForum in München ist ein öffentlicher, vom Straßenniveau erschlossener unterirdischer Raum in der Stadt, der für Kunstprojekte genutzt wird. Der Ort reflektiert scheinbar widersprüchliche planerische Entscheidungen. Die Fragen die hierbei aufgeworfen werden betreffen die Entstehung und den „seltsamen“, fragmentarischen Charakter des MaximiliansForums. Wie ist es entstanden, was sollte es ursprünglich sein, und wie kann dies als planerisches Thema betrachtet werden? War es ausschliesslich als Straßenunterführung geplant? Warum ist hier eine Fußgängerunterführung mit einer Rolltreppe ausgestattet? Wie kam es zur „Neuprogrammierung“ als Kunststätte? Zudem liegt der Raum an einer städtischen Bruchlinie zwischen der Innenstadt und dem Lehel, eine Trennung, die durch moderne Verkehrsplanung der Nachkriegszeit verstärkt wurde. Ist diese „kritische Leere“ (CRITICAL VOID) ein Relikt des Scheiterns der Moderne(n Stadtplanung)?

Das „Hörstück“ für CRITICAL VOID basiert zum einen auf einer Dokumentenrecherche und zum anderen auf qualitativen Interviews mit Zeitzeugen der Entstehung und Entwicklung des Orts.

München ist nicht die einzige Stadt, die über transitorische oder fragmentarische Räume verfügt, die im Rahmen moderner (Nachkriegs-)Planungen entstanden sind und nur in Teilen bestehen oder im Sinne ursprünglicher Planungsziele unvollständig sind. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Nicht-Orten“ (Augé 1995), die im Gegensatz zu traditionellen Orten nicht durch ihre alltägliche Praxis erklärbar sind. Ein Marktplatz etwa benötigt keine Erklärung, er „erklärt“ sich dadurch, dass er von Menschen in einem bestimmten Sinn (als Marktplatz) genutzt wird. Nicht-Orten fehlt diese Eindeutigkeit. Darüber hinaus spielte für die Wiederaufbauplanung der Nachkriegszeit auch das Paradigma der autogerechten Stadt (vgl. Düwel und Mönninger 2011) eine wichtige Rolle, wobei dies in Süddeutschland durch eine auf Rekonstruktion orientierte Wiederaufbaupolitik in abgeschwächter Form wirksam war. Zudem musste die Stadtplanung in der Nachkriegszeit auf die Bevölkerungszunahme als auch die Siedlungsbildung im Umland reagieren, die eine Zunahme des Pendlerverkehrs bewirkten (Bayer. Architekten- u. Ingenieur-Verb. 1984).

Nachdem in 1959 in München ein neuer Stadtrat gebildet wurde, entstand in 1960 ein ‚Gesamtplan zur Behebung der Wohnungsnot in München‘ sowie in 1963 der Münchner Stadtentwicklungs- und Gesamtverkehrsplan. Dies diente der Verminderung des Kraftfahrzeugaufkommen in der Innenstadt u.a. durch die Gründung eines städtisches Nahverkehrssystems und des Verkehrsverbunds. Ein Schnellstraßensystem sollte zudem eine Entlastung des Stadtverkehrs bewirken sowie Fahrzeiten verkürzen. Gleichzeitig hatten die Bürger offenbar die Möglichkeit, in diesem Prozess mitzuwirken: „Die von den Bürgern vorgebrachten Bedenken und Anregungen wurden von einer Stadtratskommission geprüft“ (Bayer. Architekten- u. Ingenieur-Verb. 1984:62). Zudem kam es zur Gründung des Münchner Forums, das sich seitdem mit Planungsvorhaben in der Stadt kritisch auseinandersetzt. Die Rolle des Münchner Forums in dieser Zeit der verkehrstechnischen Umgestaltung der Stadt ist dabei untrennbar verbunden mit der stadträumlichen Erneuerung des angrenzenden Lehels (Münchner Forum k.D.).

Die Bedeutung von Interviews über Ereignisse, die vierzig Jahre zurück liegen, steht zeitgeschichtlich mit dem Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis in Zusammenhang (Düwel und Mönninger 2011:9). Aus Interviews mit Zeitzeugen, die im Juni/Juli 2013 durchgeführt wurden, lässt sich folgendes als plausibles Szenario der Planungsabsichten und damit verbundene Kritik der Bürger herleiten: Das MaximiliansForum ist mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Fragment einer geplanten Unterführung des Altstadtrings unter die Maximilianstraße, vergleichbar der Unterführung unter die Ludwigstrasse an der Von-der-Tann-Strasse. Diese Planungsvorhaben der Stadt führten zu Widerständen in der Bevölkerung und zur Gründung des Münchner Forums, das sich auch gegen diese und ähnliche Projekte richtete. Die mit einem Planungsvorhaben für eine Unterführung unter die Maximilianstraße verbundenen notwendigen Rampen zur Auf- und Abfahrt hätten zu noch schwerwiegenderen Eingriffen in die historische Bausubstanz der Stadt geführt. Obwohl bereits ein Raum unterhalb der Kreuzung Maximilianstraße-Altstadtring in 1968 ingenieurtechnisch vorgebaut worden war, wurden die Planungen gestoppt und der Raum wurde in seinen heutigen Abmessungen beibehalten.*

Der stützenfrei überspannte Raum, ein Untergeschoss unterhalb der Kreuzung, wurde in Folge als Fußgängerunterführung und Passage genutzt. Dabei kamen die Rolltreppen erst zu einem späteren Zeitpunkt, nochmals später die Fußgängerampel. Es gab eine Diskussion über einen möglichen Rückbau der Anlage. Dies wurde aus Kostengründen abgelehnt. Stattdessen wurde der Vorschlag aufgegriffen, die Passage zur Ausstellung von Kunst im öffentlichen Raum zu nutzen. Im ‚Kunstforum‘ dienten Schaufenster entlang der Einhausung im Untergeschoss dazu, Kunstwerke, die man ansonsten nicht im öffentlichen Raum ausstellen könnte, zu präsentieren. Vor Einrichtung der Fußgängerampel wurde dies dadurch unterstützt, dass Fußgänger die jeweils andere Straßenseite nur unterirdisch durch die Passage erreichen konnten. Der Fußgängerverkehr wurde dabei durch eine permanente, wechselnde Bespielung begleitet. Der Charakter des Raums spielte zudem eine wichtige Rolle für den Ortsbezug spezifischer Kunstwerke, wie bei der Installation „Zeige Deine Wunde“ von Joseph Beuys. Später entstand das heutige MaximiliansForum.*

Das Hörstück zu CRITICAL VOID wurde am 24.07. im MaximiliansForum aufgeführt und fand mit einer klangkünstlerischen Performance seinen Abschluss. CRITICAL VOID wurde als Projekt innerhalb der vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München im MaximiliansForum abgehaltenen Veranstaltungsreihe „Transforming Design“ durchgeführt. Die Besetzung bestand dabei aus 3 Personen. Es sprachen Alexandra von Bolz‘n und Mark Kammerbauer, dabei mit klanglicher Untermalung durch Z‘EV unterstützt. Z‘EV alias Stephan Joel Weisser ist seit den 1970ern einer der formativen Künstler der experimentellen Percussion und der frühen Industrial-Musik, mit weltweiten Auftritten sowie unzähligen Veröffentlichungen und Schriften. Alexandra von Bolz‘z beschäftigt sich mit dem Thema Gender, Musik, Performance und hat sich als Stimmkünstlerin sowohl in der elektronischen als auch der Gitarrenmusik einen Namen machen können. Mark Kammerbauer hat als Gründer von nexialist.com im Rahmen von Klang, Performance und Raum ein breites Spektrum in diversen Medien behandelt und beschäftigt sich als Urbanist mit dem Thema Stadt und Krise. Zusammen arbeiten sie seit 2008 unter dem Namen „THE.BÄND“. [Anmk. bis zum Tod Z'EVs im Jahr 2017.]

Als Ergebnis zeigt sich: Der Raum des MaximiliansForums kann als ein Nicht-Ort angesehen werden. Als Ergebnis moderner Stadtplanung besitzt er einen fragmentarischen Charakter, der Ausdruck der damaligen planerischen Krise ist: Das Verkehrsvorhaben eines Tunnels wurde hier aufgegeben. Geblieben ist der Raum unter der Kreuzung, das heutige MaximiliansForum. In gewisser Weise ist der Raum tatsächlich auch eine ‚Wunde‘ der Stadt, die ‚sich zeigt‘ - durch den Eingriff in die Bausubstanz ober- wie auch unterirdisch. Der widersprüchliche Charakter ist auf anhieb nicht erklärbar und erst durch Nachforschung zu erschliessen. Der Ort repräsentiert auch einen Fall, in dem die Bürgerschaft gegen maßstabssprengende Verkehrsplanungen in modernem Zeitgeist der Nachkriegszeit Widerstand leistete. Der Raum symbolisiert hierdurch eine ‚Planungskrise‘ - das Vorhaben eines Tunnels unter die Maximilianstraße wurde unterbrochen, es blieb der Raum - ein ‚Critical Void‘. Die Hybris moderner Stadtplaner und deren Auswirkungen in der Vergangenheit sind dadurch relevant für die Stadtbewohner von heute. Das Hörbarmachen dieser Planungsgeschichte, wie im Hörstück CRITICAL VOID beispielhaft durchgeführt, trägt dabei zur Erhaltung eines lebendigen Diskurses bei.

Krise? Welche Krise?
Krise – Unterbrechung
„Wo die moderne durchgebrochen ist“
Widerstand?
UNSERE Stadt
your telling silence
No cause to answer
When it is spoken
WE ARE THE CRISIS
WE ARE THE CRISIS


„The life of a man
Burn it with the fire.
The life of a bug
Throw it in the fire.
Ponder and you‘ll see
The world is dark
And this floating world is a dream.
Burn with abandon!“ (Yuki‘s Song)

Quellen:
Augé M. (1995) Non-Places. Introduction to an Anthropology of Supermodernity. Verso: London.
Bayer. Architekten- u. Ingenieur-Verband (1984): München und seine Bauten. Bruckmann: München
Düwel J., Mönninger M. (2011 eds): Zwischen Traum und Trauma. Stadtplanung der Nachkriegsmoderne. Berlin: DOM Publishers.
Münchner Forum (k.D.): ALTSTADTRING N-O. Sammlung des Münchner Forum, Heft 1.
Yuki‘s Song aus: Akira Kurosawa (1958): Hidden Fortress (Kinofi lm, 139 min.). Japan: Toho Company.

* Interview-Quellen

CRITICAL VOID Bericht bei Academia: https://www.academia.edu/125303871/CRITICAL_VOID_Report
CRITICAL VOID Fotos: Andreas Graf 



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