Writing about David Lynch

So now he has left, to another place. As for many creative people or those whom I call friends or simply happen to know, David Lynch was a generation-defining artist. He opened the door to another world, a world that was difficult to make sense of. In this way, he reconciled me with a world that made little sense, either. His powerful imagery, music, characters, and stories will continue to resonate. I wrote about his work, more specifically Twin Peaks, for German architecture magazine Baumeister in 2018. In his revolutionary TV series, Lynch establishes an impossible space that is both the subconscious substrate and also the central psychological place of a phantasmagorical "whodunnit": the "Red Room." More than simply a pragmatic film maker's hat trick by transforming the stage curtain into an environment, the Red Room becomes a space where the action reaches its climax and where the real and surreal protagonists of the series get together. My essay was accompanied by a fantastic illustration by French artist Anne-Gaëlle Amiot. I'm featuring all of it here (text in German). 



Twin Peaks von David Lynch – der ultimative „andere Ort“?


Gerade lief mit großem Erfolg (bei Kritikern) die dritte Staffel von David Lynchs Kultserie „Twin
Peaks“. In seiner revolutionären Fernsehserie etabliert Lynch einen unmöglichen Raum, der gleichsam Untergrund und zentraler psychologischer Ort eines fantasmagorischen „Whodunnit“ ist: der „Red Room“. Mehr als nur ein pragmatischer Griff in die filmische Trickkiste, der den Bühnenvorhang in ein Environment verwandelt, wird der Red Room zu einem Raum der Verdichtung der Handlung und zu einem Ort der Versammlung der wirklichen und unwirklichen Protagonisten der Serie.

Für sein Fernseh-Epos „Twin Peaks“ schuf David Lynch, der Großmeister des verwirrend Seltsamen im bestechend normalen Gewand, einen „anderen Ort“, den Red Room, einen mysteriösen, (alb-)traumhaften Bereich, umschlossen von roten Samtvorhängen und mit ausgewähltem Mobiliar auf Fischgrätparkett ausgestattet. In der TV-Serie hat dieser Ort eine wesentliche Funktion: Er repräsentiert einen Bereich, in dem die faktenbasierte Wirklichkeit der Serienrealität kausal und temporal außer Kraft gesetzt wird. Ist es ein postfaktischer Ort? Zum einen Treffen sich hier die unterschiedlichsten, bizarren Figuren aus Lynchs TV-Serie zum mythologischen Stelldichein, samt Tanzeinlage des kleinwüchsigen „Man from Another Place“. Man spricht auch gerne rückwärts und verweist auf den zukünftigen Geschmack bestimmter Kaugummisorten. Überhaupt, die Zukunft: In einem bestechend geheimnisvollen Dialog mit dem Mordopfer Laura Palmer befinden wir uns in der Serienzukunft, vom Zeitpunkt der Ausstrahlung betrachtet. Diese Serienzukunft ist nunmehr unsere Gegenwart geworden, und passend ist auch eine dritte Staffel der US-Serie am Start.

Neben dem FBI-Agenten Dale Cooper – kongenial gespielt vom damaligen Alter Ego David Lynchs, Kyle MacLachlan – ist Laura Palmer die zentrale Person der Serie. Warum ist sie in diesem seltsamen Raum anwesend? „Lebt“ sie hier? Eigentlich ist sie tot, ermordet, vom „Bösen Bob“, der auch in der Gestalt ihres Vaters auftritt – aber nicht ausschließlich. Laura war vor ihrem Tod gefangen in einem Delirium aus Sex, Drogen und Gewalt. Nicht nur das vermeintlich brave „all-American Girl“, sondern mehr oder weniger die gesamte Bewohnerschaft des Städtchens mit dem Namen „Twin Peaks“ befand sich im Würgegriff ihrer allzu (un-)menschlichen und bizarr-mörderischen Begierden. Lynch und sein Mit-Drehbuchautor Mark Frost verdichten dies alles zu einem nahezu unlösbaren Mordrätsel.

Twin Peaks, mitten in der Natur gelegen und von amerikanischen Platanen, den märchenhaften Sycamores umgeben, ist eine jener „lynchianischen“ Städtchen, die ein ideal-typisches Amerika der 1950er Jahre herbeizitieren und -imaginieren. Weiß gestrichene Holzlattenzäune umrahmen vorstädtisches Eigenheimidyll. Man erreicht es, wie könnte es anders sein, mit dem Auto. Die stimmungsvolle Musik Angelo Badalamentis verstärkt die idyllische Atmosphäre. Doch die Ambientklänge verdüstern sich bald, denn hinter den properen Fassaden verbirgt sich das Grauen. Vielleicht wird dieses Grauen in den Augen der Zuschauer umso schrecklicher und irritierender, je kontrastreicher der scheinbare Widerspruch zwischen der Fassade und den verschiedenen Facetten des Innenlebens narrativ herausziselliert wird.

Rettung bietet scheinbar der Wald, doch diese Rettung ist eine Täuschung. Wie im Märchen um das Rotkäppchen ist der Wald ein Übergang zu Orten des Schreckens: „One Eyed Jack’s“, ein Spielcasinobordell, das Bürger von Twin Peaks zu frequentieren neigen; ein verlassener Eisenbahnwaggon als Schauplatz des Mordes an Laura Palmer; und nicht zuletzt ein mythisches „Portal“, das in den Red Room führt. Doch was in aller Welt ist denn nun dieser „andere Ort“ mit seinen samtenen Vorhängen? Kann es möglich sein, dass dieser Ort Laura Palmer...ist? Beide koexistieren hier in gewisser Weise. Zwar kennt man aus der Menschheitsgeschichte das „Zwei-Körper-Problem“, eine Bezeichnung dafür, dass in mittelalterlichen Zeiten der Körper eines Regenten und das von ihm regierte Territorium als identisch verstanden wurden. Die Vorstellung, dass die Homecoming Queen Laura Palmer identisch sein soll mit ihrem rotsamtenen Traumkönigreich, erscheint jedoch...unmöglich.

Der „andere Ort“ lässt sich jedoch auch urbanistisch ergründen. Er befindet sich außerhalb der „Stadt“ und somit dem Bereich des Gesetzes und der Ordnung, wo Verstöße gegen diese Ordnung unverzeihlich sind. Nur hier sind dieser hervorragende Kaffee und der grandiose Kirschkuchen möglich. Ausführendes Organ dieser faktenorientierten Ordnung ist FBI-Agent Dale Cooper. Die „Existenz“ des Red Room jedoch ist mythologisch, unlogisch, geheimnisvoll, jen-zeitig. Nicht umsonst befindet sich dessen „Portal“ nochmal außerhalb der Kleinstadt, in der Natur des Waldes. In seiner Märchenhaftigkeit klingt das Echo eines Stadt-Land-Dualismus nach, das europäische Siedler in die Neue Welt mitgebracht hatten. In den USA gab es jedoch nie ein irgendwie geartetes feudales „Land“ im Gegensatz zu einer selbstbestimmten „Stadt“, und in der sogenannten „Wilderness“ besaßen die indigenen Völker Nordamerikas bereits lange vor Ankunft der Siedler ihre eigenen Kulturen. Daher überrascht es auch nicht, dass der indianische Deputy Hawk ein ganz eigenes Verständnis des „anderen Ortes“ besitzt.

Wenn das Narrativ der Serie auf dem Prinzip „Spannung durch Konflikt“ aufbaut, ist aus dieser Sicht die Rolle des Red Room klar. Hier bietet sich der temporäre Ausstieg aus den filmisch repräsentierten Räumen der Serienrealität. Er ist narrative Reflexion in verräumlichter Form. Laura Palmer ist hier präsent, zusammen mit dem Pantheon der Freaks aus Lynchs mysteriöser Mythologie. Die Präsenz des Ermittlers und FBI-Agenten Dale Cooper in diesem Raum stellt räumlich-visuell dar, wie nahe er dem Geheimnis des Mordes an Laura Palmer kommt. Agent Cooper wird so zu einer Art postmodernem Orpheus, der versucht, seine Eurydike aus der Unterwelt zu befreien. Doch wenn Laura Eurydike ist, wer ist dann jene geheimnisvolle „Diane“, die am Anfang aller Diktaphoneinträge des Agenten steht?

Layer über Layer entwirft Lynch ein bewegtes Bild im wahrsten Sinne des Wortes, das den Wunsch nach Kontinuität, einer nach fiktiven „Fakten“ organisierten, narrativen Konstruktion in Frage stellt und regelrecht zerbröselt. Der Ort, an dem diese „Befreiung“ von der Storyline ästhetisch manifestiert, ist der Red Room. Hier koexistieren jedoch die Welten des Traums und der Realität, auch wenn oder gerade weil die Kommunikation zwischen diesen Ebenen des Seins zu einer intensiven und irritierenden emotionalen Spannung führt, angefeuert durch die „Mysteries of Love“. Am Ende steht, so scheint es, der Wahnsinn des Protagonisten, der irre seinem Spiegelbild entgegen lacht. Möglicherweise hat der Böse Bob seinen Platz eingenommen. So betrachtet verspricht nur der „postfaktische“ Ort des unmöglichen Red Room, wo die Toten zum Leben erwachen, die Erlösung. Eine Flucht auf dem Motorrad entlang der Landstraße führt nur ins nächste Unheil, selbst ein Abschalten des Fernsehers bietet keinen Ausweg aus dem Traumreich „Twin Peaks“.

(Teil 1 der Serie: Postfaktische Architektur und „Andere Orte“ –  Die unmöglichen Räume des phantastischen Films, Baumeister, 2018)

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