Bavarität – wie geht das?


Der Buchtitel "Bavarität" kam mit dem Fazit. Wie sich schnell herausstellte, erregt der Begriff Aufmerksamkeit. Als Wissenschaftler kann ich lediglich annehmen, dass es eine irgendwie geartete Bavarität gibt – einen kulturell spezifischen Mix aus Urbanität und Ruralität, womit das Stadt- und Landleben Bayerns gemeint ist. Wie sehr sich der Freistaat von anderen Bundesländern oder Nachbarnationen unterscheidet, bietet Raum für interessante Diskussionen. Ebenso, wie beispielhaft bestimmte Lokalitäten für die gesamte Region sind. In diesem Post möchte ich beschreiben, wie ich mich der "Bavarität" angenähert habe.

Im ersten Kapitel, "Raum als Text", untersuche ich das dramatische Werk des Theaterautors Franz Xaver Kroetz. Er beschreibt das Stadt- und Landleben und wie seine Charaktere diese unterschiedlichen Welten erleben. Die Krisen und Konflikte, die Dreh- und Angelpunkt der Kroetzschen Theaterstücke sind, finden im Spannungsfeld zwischen dem modernen und dem traditionellen Leben statt. Städtische Mietskasernen aus Beton werden dem ländlichen Bauernhof gegenübergestellt. Aus der Perspektive der Architekturtheorie kann man das mit dem Spannungsfeld zwischen traditioneller Handwerkskunst und moderner Industrieproduktion vergleichen.

Kapitel zwei, "Raum als Krise", steckt den Finger tiefer in die kritische Wunde. Das Verständnis von Krisen im Bereich der soziologischen Katastrophenforschung ist höchst präzise. Das gilt auch für den urbanistischen Diskurs über Krisen der Stadt. Die Disziplin der Architektur kann nur bedingt auf die sozialen Grundursachen eingehen, die eine Bewältigung von Katastrophen behindern. Hier sind interdisziplinäre Ansätze hilfreich, die Schritt für Schritt darlegen, wie Krisen und Katastrophen sozial gerecht und baulich angemessen bewältigt werden können.

Das dritte Kapitel zum "Raum für Baukultur" stellt gebaute Lösungen auf vielfältige Herausforderungen vor. Der Blick umfasst dabei die Vergangenheit und Gegenwart des Freistaats. 40 ausgewählte Projekte der Architektur, des Städtebaus, der Stadtplanung und der Landschaftsarchitektur stehen im Mittelpunkt, darunter die Kita Karoline Goldhofer in Memmingen (heilergeiger architekten und stadtplaner und Latz + Partner Landschaftsarchitekten). Wie die Zukunft des Bauens aussehen kann, zeigt ein Gespräch mit jungen Büros und Initiativen (super future collective, Nürnberg und Kollektiv A, München sowie weiteren).

In Kapitel vier folgt eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem "Raum zum Wohnen". Zwei genossenschaftliche Wohnungsbauprojekte in München dienen als Beispiele: wagnisART der Wohnbaugenossenschaft wagnis eG (bogevischs buero, SHAG Schindler Hable Architekten, Ingenieurbüro EST, auböck/káráz, bauchplan) und Ran Riemo der Kooperative Grossstadt eG (Arge Summacumfemmer Büro Juliane Greb). Die Partizipation der zukünftigen Bewohner ist hier der Schlüssel zu einer sozialen und baulichen Antwort auf die Krise des Wohnens in der bayerischen Hauptstadt. Analog zur Haltung des Urbanisten Henri Lefebvre zum "Recht auf Stadt" stelle ich fest, dass wir ein "Recht auf Partizipation" brauchen.

Was bleibt zu tun? Einen Ausblick bietet Kapitel fünf, "Raum für Visionen". Kann man die Arbeit an einem Projekt gleichzeitig dazu nutzen, grundlegende Fragen über die eigene Arbeitsweise zu stellen? Dies demonstrieren das Kaffeeutopium in Erlangen (Dominik Schoell) und das Haus Pfettrachgasse in Landshut (Markus Stenger). Kann man die Realität eines Projekts zum Anlass nehmen, sich eine alternative Entwicklung vorzustellen? Hierzu erzähle ich, vor dem Hintergrund des Tucherparks in München, von fiktiven Begegnungen zwischen Sep Ruf und Ludwig Mies van der Rohe. Beide Fragen führen zu Antworten auf kritische Themen der Baukultur.

In der Summe ergibt sich für mich ein differenziertes Bild, das verschiedene Maßstabsebenen und verschiedene Disziplinen der Gestaltung umfasst, auf die verschiedene Akteure Einfluss haben können – und sollen. "Bavarität" kann dabei als Chiffre verstanden werden, wie kulturell spezifisch dieses Bild sein kann – und soll. Letztlich entscheidet die Leserschaft, welche Haltung sie dazu einnehmen will!

„Bavarität – Krisenbewältigung im baukulturellen Raum“ ist erhältlich auf der Website des Verlags sowie im Buchhandel.

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