Bavarität gelesen und diskutiert bei Schnitzer&
Im Studio von Schnitzer& am Mittwoch, den 04.12. durfte ich abends mein Buch "Bavarität" vorstellen, Passagen daraus vorlesen und darüber mit dem Publikum diskutieren. Für die Einführung, Moderation und Mit-Lesung konnte ich Nicola Borgmann und Mathieu Wellner gewinnen. Mit der These, dass ein Zustand wie "Bavarität" denkbar sei, habe ich das Publikum dazu motiviert, sehr interessante, manchmal kritische und bisweilen provokante Fragen zu stellen:
Was wohl die Bavarität eigentlich sei? Etwas, das es wohl geben müsse, wenn Urbanität und Ruralität das baukulturelle Leben im Freistaat Bayern bestimmen – ein Phänomen, dass sich aus dem Wechselspiel zwischen Tradition und Moderne, zwischen Stadt und Land, zwischen Handwerkskunst und Industrieproduktion herausgebildet hat. Bavarität beschreibt demnach keinen Stil, sondern ist ein soziokultureller Zustand.
Ob es im Buch mehr um Krisen und die Rolle des Bundes als um Bavarität ginge? Wenn Krisen der gedankliche Ausgangspunkt sind und die Existenz von Bavarität die Schlussfolgerung ist, dann ist das kein Widerspruch. Wenn Krisen den Alltag im Bundesland unterbrechen, ist es nur zielführend, wenn der Bund mit Ressourcen helfend eingreift. Ob das im aktuellen Maß – insbesondere im Wiederaufbau nach und in der Anpassung an Umweltkatastrophen – ausreicht, kann man anhand von aktuellen Beispielen (Ahrtal) feststellen. Damit ist kein Widerspruch zur Bedeutung der Baukultur auf regionaler Ebene verbunden, denn alle architektonischen und städtebaulichen Projekte können kontextabhängig und partizipativ geplant werden. Ressourcen vom Bund sollten diesen Prozess unterstützen.
Ob es eine baukulturelle Dimension der Bavarität überhaupt gäbe? Dass es diese baukulturelle Dimension nicht gäbe, müsste erst nachgewiesen werden. Ein damit verbundener Designcharakter oder gar eine Sichtbarkeit als Stil muss nicht substantiell sein. Im Gegenteil – die Art und Weise, wie sie das Moderne aufnimmt, drückt ihr Potential für Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede aus. Ob sie Partizipation als solche beeinflusst, ob sie sich erst in der Gegenüberstellung der baukulturellen Dimensionen anderer Bundesländer herausstellt – das könnte man durchaus vergleichen.
Ob Bavarität nicht vornehmlich in historischer, ländlicher Architektur präsent sei? Die Bauernhäuser einer armen Landbevölkerung der Vergangenheit drücken aus, wie im damaligen Klima bauliche Entscheidungen im handwerklichen Sinn nach verfügbaren Ressourcen getroffen wurden: das Erdgeschoss gemauert und verputzt, darüber eine hölzerne Konstruktion. Die Moderne hat durch industrielle Massenproduktion Raum geschaffen, aber gleichzeitig zu anderen Defiziten geführt. Diese Defizite der Moderne können durch Anpassung und Teilhabe gelöst werden.
Wie weit reicht der Krisenbegriff und wie hängt er mit Bavarität zusammen? Krisen der Baukultur können klimatischer Art sein, aber auch die Wohnungskrise in Städten wie München umfassen. Ihre Bewältigung durch genossenschaftliche Wohnungsbauprojekte reagiert auf die Grundursache: Ungleichheit im Zugang zu Ressourcen. Aktuelle Beispiele wie wagnisART und San Riemo drücken demnach ebenso Bavarität aus – selbst, wenn diese städtischen Wohnbauten nicht wie traditionelle Bauernhäuser aussehen, sind sie Teil der regionalen Baukultur und ihrer Vielfalt.
Ob eine Bavarität auch außerhalb des Freistaats denkbar sei? Sie ist genau so denkbar, wie andere baukulturelle Implantate, so wie die HICOG-Siedlungen der US-amerikanischen Besatzungsmacht, für die mitunter Sep Ruf in der jungen Bundesrepublik verantwortlich war.
Wie es um die Lesbarkeit des gebauten Raums insbesondere in der ländlichen Region bestellt sei? Die Lesbarkeit der gebauten Umwelt ist der Schlüssel, um Bedarfe und Herausforderungen klar zu identifizieren. Wenn sich dabei herausstellt, dass es eine Unwucht zwischen Stadt und Land gibt, ist damit eine klare Erkenntnis verbunden.
Es wurde eifrig diskutiert und nachgedacht, so, wie man es sich wünscht. Und nach der Diskussion ging das Gespräch bei Wein und Käse noch lange weiter. Herzlichen Dank an Hannes Dölker, Martin Schnitzer, Nicola Borgmann und Mathieu Wellner sowie dem Publikum für einen wundervollen Abend! (Fotos: Carola Dietrich, Alexander Gutzmer, Nicola Borgmann)
Comments
Post a Comment